Wer sind die besten Lehrenden, und wie lehren sie eigentlich? Provokative Fragen. In einer umfangreichen qualitativen Studie hat Ken Bain probiert, sie zu beantworten. Die Ergebnisse seiner Analysen und Interviews mit Dutzenden von Hochschuldozierenden fasst er im Buch „What the Best College Teachers Do“ zusammen. Auch wenn die Bezeichnung dieser Lehrenden als „die Besten“, wie Bain auch eingesteht, nicht ganz seriös ist, so enthält das Buch dennoch viele gute Ideen – nicht nur für die Hochschullehre, sondern für Lehrveranstaltungen aller Art. Ganz zentral sind z. B. die Fragen, die sich „die besten“ Dozierenden stellen, wenn sie eine neue Lehrveranstaltung planen. Lassen Sie sich doch auch von diesen Fragen inspirieren, wenn Sie Ihre nächste Schulung oder Führung planen.

 

1. Was sind die „großen Fragen“ der Lehrveranstaltung?

Welche grundlegenden Fragen über das Leben, die Menschheit und das Universum werden die Teilnehmenden dank dieser Lehrveranstaltung beantworten können? Wie werde ich ihr Interesse an diesen Fragen fördern?

Lernziele beziehen sich oft auf konkrete Themen, deren Relevanz die Teilnehmenden nicht unmittelbar erkennen können, z. B.: Wie funktioniert eine Recherche im Katalog? Diese Frage muss nicht jede/n interessieren. Man kann sie aber wie eine Zwiebel entpacken und tiefere Schichten aufdecken: Wie ordnen wir Informationen? Was macht Informationen “gut” und “wahr”? Wie kann die Menschheit ihr Wissen an weitere Generationen weitergeben? Die „großen Fragen“, die hinter spezifischen Themen stecken, packen das Interesse der meisten Teilnehmenden, weil sie abstrakt und auf zahlreiche andere Themen anwendbar sind.

 

2. Welche Kompetenzen brauchen Teilnehmende, um diese großen Fragen zu beantworten?

Wie funktioniert wissenschaftliches Arbeiten, wie zitiert man, wie kommt man an Medien heran? Hier geht es um Methoden: Instrumente, Modelle, Zitierstile, Schreibstile, Prozesse usw.

 

3. Welche mentalen Modelle bringen Teilnehmende mit, die sich ändern müssen? Wie kann ich diese Änderungen fördern?

Teilnehmende bringen bezüglich Medien, Recherche und Informationskompetenz zahlreiche Gewohnheiten und Denkmuster aus der Schule bzw. aus ihrem Leben mit. Diese mentalen Modelle sind oft sehr hartnäckig und müssen explizit angegangen werden, bevor etwas Neues verankert werden kann. Nur wenn Sie sich bewusst machen, was bereits „da ist“ und sich ändern muss, können Sie die Teilnehmenden unterstützen, sich nachhaltig weiterzuentwickeln. Die „besten“ Lehrenden fragen sich immer, welche Stolpersteine sich aus dem fehlerhaften bzw. unzureichenden Vorwissen ergeben könnten.

 

4. Welche Informationen brauchen die Teilnehmenden, um die Fragen zu beantworten und neue Kompetenzen zu erwerben? Wie können sie diese Informationen am besten erhalten?

Erst in diesem Schritt geht es um „Input“! Nun werden Inhalte, Lehrmethoden und Medien gewählt. Teilnehmende bekommen neue Informationen, die sie benötigen, um ihr Vorwissen zu ergänzen. Diese können sie auch in einem Flipped Classroom-Setting erhalten.

 

5. Wie werde ich Teilnehmende unterstützen, die Schwierigkeiten haben?

Gute Lehre heißt nicht, dass Teilnehmende alles auf Anhieb verstehen und umsetzen. Eine nachhaltige Veränderung erfordert sogar ein gewisses Maß an Schwierigkeiten (laut einer Studie etwa 15 %) – Fehler, Emotionalität und Scheitern gehören dazu. Sie sollten sich deshalb überlegen, wie Sie die Teilnehmenden unterstützen werden: mit Erklärungen, zusätzlichen Informationsangeboten auf der Website, Sprechstunden, (Peer-)Feedback, Quizfragen o. Ä.

 

6. Wie werde ich die Teilnehmenden dazu anregen, Quellen kritisch zu hinterfragen?

Unsere Informations- und Medienlandschaft ändert sich ständig. Viele Quellen sind schnell veraltet oder von vornherein nicht vertrauenswürdig. Teilnehmende sollten deshalb lernen, dass kritisches Hinterfragen wesentlicher Teil der Informationskompetenz ist.

 

7. Wie werde ich herausfinden, was die Teilnehmenden bereits wissen und welche Erwartungen sie haben, und wie werde ich mit diesen Informationen umgehen?

Das Vorwissen von Teilnehmenden sowie ihre Erwartungen und Interessen können vor der Veranstaltung abgefragt werden; welche Methoden bieten sich dazu an (kann eine Online-Umfrage verschickt werden, die Lehrperson gefragt werden)? Wie möchte man mit den Ergebnissen umgehen? Teaching Librarians können Verbindungen zwischen dem Stoff und den Interessen der Teilnehmenden aufzeigen (vielleicht anhand der „großen Fragen“), explizit auf Diskrepanzen hinweisen, zusätzliche Informationsangebote für Teilnehmende mit weniger Vorwissen bereitstellen, ggf. aber auch Themen aufnehmen oder streichen.

 

8. Wie unterstütze ich die Teilnehmenden darin, zu lernen, sprich, sich zu informieren und ihren Lernprozess zu reflektieren?

Unsere Medien- und Informationslandschaft ändert sich ständig. Die „besten“ Lehrpersonen möchten Teilnehmende dazu befähigen, auch über die Lehrveranstaltung hinaus ihre Kompetenzen weiterentwickeln zu können. Sie möchten den Teilnehmenden zeigen, wie sie neue Quellen finden können, wie sie effektiv lesen können, wie sie ihr Lernen und Arbeiten reflektieren und individuell anpassen können. Teaching Librarians können das in der Lehrveranstaltung niederschwellig durch kleine Hinweise thematisieren oder sogar richtig in den Fokus rücken.

 

9. Wie kann ich Teilnehmenden Feedback geben?

Im Sporttraining erhalten Lernende hunderte, wahrscheinlich sogar tausende Feedbacks, bevor sie jemals in irgendeiner Form geprüft werden. Es ist selbstverständlich, dass etwas Neues nicht auf Anhieb klappt, sondern dass Übung notwendig ist. Auch die „besten“ Hochschuldozierenden teilen diese Sicht. Sie überlegen sich deshalb, wie die Teilnehmenden möglichst viel Feedback zu ihrer Leistung erhalten können: z. B. durch Peerfeedback, Selbsteinschätzungen, Online-Tests, Musterlösungen, Diskussionen…

 

10. Wie kann ich Teilnehmende zum Denken anregen?

Anstatt sich zu fragen, was sie „vermitteln“ wollen, stellen sich die besten Lehrpersonen die Frage, wie sie die Teilnehmenden zum aktiven Denken anregen können. Ihre Kommunikation und methodische Gestaltung der Lehre richten sich also danach, wie sie die Teilnehmenden „am Ball halten“ können. Die Gestaltung von Folien, die Länge von Vorträgen, die Wahl von Metaphern, der Einsatz aktivierender Methoden… jede Entscheidung in der Lehrplanung wird so getroffen, dass die Teilnehmenden nicht schlafen, sondern zum Denken angeregt werden.

 

Bonus: 11. Falls Bewertung ansteht: Wie werde ich die Qualitätsmerkmale für Leistungen festlegen, formulieren und verständlich kommunizieren?

Manchmal bewerten Teaching Librarians auch die Einreichungen von Studierenden oder Schüler*innen. In dem Fall muss klar sein, wie die Bewertung erfolgt: Ist das geleistet worden, was verlangt wurde? Sind die Lernenden fähig, diese Leistung stabil zu zeigen oder entstammt sie einem Zufall? Bewerten die Teaching Librarians fair und transparent? Perfektion ist hier nicht zu erwarten. Die besten Dozierenden überlegen sich trotzdem im Voraus, welche Kriterien sie wählen werden – solche, die die „großen Fragen“ und Kompetenzen widerspiegeln –, wie sie diese verständlich und beobachtbar formulieren, und wann bzw. wie sie diese Kriterien mit den Lernenden besprechen wollen.

 

Fazit: Eine reflektierte Lehrplanung spart Zeit und fördert die Qualität Ihrer Lehre

Wenn Sie sich – wie die „besten“ Dozierenden – bei der Planung Ihrer Lehre fragen, welchen Sinn die Lehrveranstaltung verfolgt, was Ihre Teilnehmenden mitbringen könnten und wie Sie vorgehen möchten, sparen Sie sich letztlich Zeit und Stress bei der Durchführung der Schulung oder Führung – und Sie gestalten eine motivierende, lernförderliche Lehrveranstaltung.

Natürlich sind diese Fragen nicht “das A und O” des Vorgehens bei der Lehrplanung, die wir Dozent*innen alle haargenau befolgen müssen. Wir können sie einfach als Inspiration nutzen. Persönlich finde ich die erste Frage am ungewöhnlichsten und deshalb am wichtigsten. Und wie geht es Ihnen mit den Fragen? Haben Sie einen Favoriten?

Wir freuen uns über Ihr Feedback und Ihre Fragen! Sie finden uns auf Twitter oder in unserer Facebook-Gruppe.

Speichern Sie sich auch gerne folgende Infografik ab, die die Fragen zusammenfasst (veröffentlicht unter der freien Lizenz CC BY-SA 4.0):

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