Stellen Sie sich folgende Situation vor: Ein junger Mensch in der letzten Reihe ist in Ihrer Schulung oder Führung offensichtlich mit seinem Smartphone beschäftigt und folgt dem Geschehen nicht. Er stört aber auch keinen anderen Teilnehmenden.

Was tun Sie?

Ihre Entscheidung dürfte stark von Ihrem Rollenverständnis abhängen: Sehen Sie Ihre Aufgabe als Teaching Librarian auch darin, einen Erziehungsauftrag wahrzunehmen, fühlen Sie sich oder sind Sie verpflichtet, Lernerfolge bei Ihren Teilnehmenden sicherzustellen, dann werden Sie eingreifen. Sie werden den Teilnehmenden auffordern, das Smartphone beiseite zu legen und der Schulung zu folgen. Sie werden möglicherweise sogar „mit erhobenem Zeigefinger“ darauf hinweisen, dass sich ein solches Verhalten nicht gehört. Sie übernehmen die Rolle des moralisierenden Erziehers oder der moralisierenden Erzieherin.

Sehen Sie Ihre Rolle jedoch darin, Lerngelegenheiten anzubieten, die die Lernenden nutzen können oder auch nicht, sind Sie der Überzeugung, dass man niemanden „zu seinem Glück zwingen“ kann, so werden Sie das Verhalten dieses Teilnehmenden so lange ignorieren, so lange er die anderen nicht stört und vom Lernen abhält.

Ein bewusstes Rollenverständnis ist wichtig, denn…

…Sind Sie sich Ihrer Rolle bewusst, wird Ihnen die Entscheidung jeweils nicht sehr schwer fallen; haben Sie Ihre Rolle dagegen nicht geklärt, kommen Sie vermutlich ins Schwanken; Sie werden unsicher; und Sie werden ggf. für Ihre gesamte Gruppe als inkonsequent erscheinen, denn das eine Mal werden Sie in dieser Situation den Teilnehmenden zurecht weisen, in einer vergleichbaren Situation werden sie ihn oder jemand anderen gewähren lassen, sprich Sie handeln in vergleichbaren Situationen unterschiedlich. Das wiederum stört jedoch das Klima in der gesamten Schulung, da ein solches Verhalten Ihrerseits die Teilnehmenden irritiert.

Aus diesen Gründen lohnt es sich, sich mit dem eigenen Rollenverständnis als Teaching Librarian zu beschäftigen.

Ganz grundsätzlich spannen sich die Rollen von Teaching Librarians zwischen den beiden Polen auf, die bereits Litt vor fast 100 Jahren benannt hat: Führen oder Wachsenlassen.

Rollen, die vor allem Aspekte des Führens auf sich vereinigen

Lokomotive

Eine Lokomotive führt den Zug an; sie zieht die Wagons mit. Keiner hat eine Chance auszubrechen.

Geburtshelfer/Hebamme

Eine Hebamme/Ein Geburtshelfer hat klar das Ziel im Blick und berät die gebärende Frau nach bestem Wissen und Gewissen, damit die Geburt erfolgreich verläuft. Im Notfall greift er oder sie dann aber auch aktiv ein; man denke an den Einsatz von Saugglocke und Zange etc.

Arzt/Ärztin

Ärzte sind Experten ihres Faches. Sie stellen Diagnosen alleine und legen anschließend eine Therapie fest. Die Mitarbeit der Patienten ist dabei nur eingeschränkt nötig.

Rollen, die vor allem Aspekte des Wachsenlassens auf sich vereinigen

Gärtner/in

Die Gärtnerin/Der Gärtner sorgt für bestmögliche Bedingungen, damit die Pflanzen wachsen können. Er oder sie gibt auf der Grundlage seines/ihres Wissens so viel nötig, vertraut ansonsten auf die natürlichen Anlagen der Natur.

Reiseführer/in

Reiseführer geben Informationen, geben den Reisenden aber auch Raum, das Neue selbst zu entdecken und zu erforschen. Sie stehen für Fragen bereit. Sie machen Angebote, die die Reisenden annehmen aber auch ablehnen können.

Freund/in

Freunde sind da, wenn man sie braucht. Sie drängen sich aber nicht auf.

Bergführer/in

Bergführer führen Bergwanderer an. Allerdings ist ihnen bewusst, dass letztlich jeder Wanderer den Gipfel selbst erreichen muss.

Trainer/in

Trainer üben mit ihren Trainees, sie verbessern, wo nötig, unterstützen, treiben aber auch an und disziplinieren. Dabei sind sie auf die Mitarbeit der Trainees angewiesen.

Und nun sind Sie dran!

Und nun sind Sie dran: In den seltensten Fällen dürfte es angemessen sein, wenn Lehrende genau eine dieser Metaphern als Grundlage ihres Rollenverständnisses nutzen. In der Regel setzt sich das eigene Rollenverständnis als ein Strauß von Aspekten verschiedener Metaphern zusammen.

Das Rollenverständnis hängt auch von der Zielgruppe ab: In einer Führung oder Schulung mit einer ersten Klasse werden Sie sich bestimmt anders verhalten als in einer Veranstaltung mit Erwachsenen.

Überlegen Sie, welche Aspekte Ihr Rollenstrauß umfasst.

Was liegt Ihnen nahe, womit fühlen Sie sich wohl?

Möchten Sie Ihre Überlegungen mit KollegInnen besprechen? Schauen Sie gerne in unserer Facebook-Gruppe für Teaching Librarians vorbei.